So wie das Eisen außer Gebrauch rostet und das stillstehende Wasser verdirbt oder bei Kälte gefriert, so verkommt der Geist ohne Übung.
(Leonardo da Vinci, italienischer Maler, Bildhauer, Architekt und Erfinder, 1452 - 1519)
Kinder werden mit Computern "angefixt"
In seinem neuen Buch "Digitale Demenz" erläutert Spitzer die Abläufe im Gehirn, die unseren Kindern schaden, wenn sie sich mit Computer & Co. beschäftigen -- und das vorweg -- es sind eine Menge.
Deswegen seien die digitalen Medien zur Förderung des Lernens im Bildungsbereich grundsätzlich ungeeignet. Das Gehirn ist wie ein Muskel Unbestritten - auch unter den sog. Gamern - ist:
Bestimmte Computerspiele besitzen ein Suchtpotenzial.
Aktuelle Studien gehen davon aus, dass drei Prozent der Jungen im Alter von 15 Jahren computerspielabhängig sind. Über 15 Prozent spielen am Tag mehr als 4,5 Stunden an Konsole oder Computer.
Spitzer zeigt aber noch eine Reihe von anderen negativen Effekten von Smartphone, Ipad und PC, die einleuchten: Starker Medienkonsum hängt mit Übergewicht bei Jugendlichen statistisch zusammen.
Wer viel glotz oder zockt, ist seltener im Wald oder auf dem Sportplatz zu finden.
Logisch ist auch, wer sein Ziel immer über ein Navigationsgerät findet, der wird ohne Navi Probleme bekommen, einen Ort wiederzufinden.
Denn das Areal im Gehirn, das für die räumliche Vorstellung genutzt wird, verkümmert, wenn man es nicht benutzt. Hirnareale für Orientierung oder Musizieren wachsen, wenn sie stark gefordert werden, so Spitzer: "Unser Gehirn funktioniert in dieser Hinsicht also ähnlich wie ein Muskel: Wird er gebraucht, wächst er; wird er nicht benutzt, verkümmert er."
Dabei nehmen uns die Rechner immer mehr geistige Aufgaben ab, eine geistige Demenz sei die Folge.
Cliffhanger beruhen auf psychologischen Tricks
Viele dieser richtigen und wichtigen Hinweise finden sich in dem Buch.
Besonders lesenswert wird es, wenn der Hirnforscher die Funktionsweise des Denkapparates erklärt. Warum gibt es Synapsen?
Wie funktioniert Lernen?
Warum können wir uns Sachen besser behalten, mit denen wir uns intensiver beschäftigt haben?
Warum hängen Gehirngröße (genauer dem präfrontalen Cortex) und die Gruppengröße - in der die Art lebt - zusammen? Wussten Sie das unabgeschlossene Handlungen und Fakten besser behalten werden als abgeschlossene?
Probanden sollten Wörter in eine Eingabemaske am PC eingeben.
Sind diese Personen davon überzeugt, der Computer speichert die Wörter, behalten sie so gut wie keine. Sind sie überzeugt, der PC löscht die Wörter gleich wieder, behalte sie wesentlich mehr Begriffe.
Dieser "Zeigarnik-Effekt" wird auch von Fortsetzungsromanen, Fernsehserien und Computerspielen als Cliffhanger eingesetzt.
Die Handlung bricht an einer spannenden Stelle ab, am verinnerlicht diese unabgeschlossene Handlung und man fragt sich in der Pause bis zur nächsten Serie, wie mag es wohl weiter gehen?
Bei Kindern ist dieser Effekt noch ausgeprägter als bei Erwachsenen, das fanden Studien heraus.
Daraus schließt Spitzer aber, dass die ständige Verfügbarkeit von Fakten über Google uns Zusammenhänge vergessen lässt. Dieser Schluss dürfte von vielen als Kurzschluss empfunden werden.
Das Faktenwissen war schon früher in Atlanten, Bibliotheken und Lexika verfügbar - es war nur schwerer, dort heranzukommen.
Vielleicht hat Spitzer auch nur einen einseitigen Wissensbegriff.
Es ist heute nicht unbedingt wichtig, das exakte Datum zu wissen, an dem sich Napoleon die Krone aufs Haupt setzte.
Wichtig ist die Einordnung in die europäische Geschichte und dass man die zeitliche Abfolge versteht:
Z.B. es muss nach der Französischen Revolution gewesen sein, aber vor dem Wiener Kongress.
Das Datum lässt sich heute wie früher einfach nachschlagen.
Die Seele nimmt die Farbe der Gedanken an Insgesamt hat man den Eindruck, der Autor behandle das Thema eindimensional. Seine Kritiker werden Spitzer sicher vorwerfen, er übersehe, dass Computer nicht festgelegte Werkzeuge sind, im Gegensatz zu einem Hammer oder einer Waffe:
Mit einem Hammer kann man Nägel einschlagen, mit einer Pistole Menschen erschießen mit einem PC kann man vieles - Sinnvolles oder nicht Sinnvolles. Kleine Computerprogramme zu erstellen, was im Informatikunterricht an Schulen nicht unüblich ist, stellt eine große kognitive Leistung dar.
Die dafür notwendige boolesche Algebra steht nicht im Verdacht, Schüler dümmer zu machen. Eine solche positive Überlegung findet man auf keiner der 328 Seiten.
Auch den Nachweis, warum man nicht genauso konzentriert einen Wikipediaartikel durchlesen kann, wie man einen gedruckten Text liest, bleibt der Autor leider im ganzen Buch schuldig.
Wissenschaft bedeutet auch das Vorstellen und Abwägen von Theorien, das Gewichten von Argumenten. Spitzer, so scheint es, will nicht nur wissenschaftlich sein, er will auch provozieren und dadurch Aufmerksamkeit auf sein sicherlich ernst gemeintes Anliegen richten. Eine kleine Pointe des Verlags ist wohl, das Buch auch als E-Book (also digital) herauszubringen.
Manfred Spitzer: Digitale Demenz Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen
https://www.youtube.com/watch?v=TLwXCS9LKS8
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